Montag, 17. April 2017

Bist du stark oder hart?





In meinem aktuellen Roman hat meine Heldin Zara als Teenager einen Verlust erlitten, der sie als Erwachsene daran hindert, eine tiefergehende Beziehung einzugehen. Sie steckt in ihrem Schmerz, hält daran fest und verhindert dadurch, wahre Liebe zu erfahren. Ihr Schmerz ist wie ein Schild, der andere davon abhalten soll, ihr zu nahe zu kommen, denn sie möchte nicht noch einmal durch die Hölle und wieder zurück gehen.

In diesem Zusammenhang habe ich mich gefragt, wie oft wir in unserem Alltag an alten Verletzungen festhalten. Sie konservieren, in unserer Erinnerung lebendig halten und uns dadurch selbst im Weg stehen, statt das Leben in vollen Zügen zu genießen. Manchmal kann daraus im Laufe der Jahre ein Panzer werden, der uns isoliert. Von uns und unserer Lebendigkeit.

Uns wird täglich in hundert winzigen Verkleidungen Unrecht getan. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir die Vorfahrt genommen oder die Parklücke gestohlen wurde. Wie oft mein Schatz rote Boxershorts in meine weiße Wäsche schmuggelt oder meine Wollpullover in den Trockner wirft. Wie oft  mir jemand bei IKEA den Einkaufswagen mopst, sich an der Kasse vordrängelt, oder ich schlicht und einfach unfair behandelt werde. Ich kann deswegen an die Decke gehen, es aufblasen und eine Riesensache daraus machen.
Ich kann aber auch mit den Schultern zucken und es als das abtun, was es ist: eine Mücke. So was ist lästig, ärgerlich oder einfach nur nervig – aber das ist nicht das Leben. Denn wenn wir uns von diesen Kleinigkeiten den Tag versemmeln lassen, verpassen wir all die kleinen Details. Die verborgenen Schönheiten, die das Leben zu etwas Besonderem machen. Das Versprechen auf Frühling, das in der Luft liegt, einen Song, der gerade irgendwo gespielt wird oder die beiden Greise, die sich wie Frischverliebte ansehen und Händchen halten.

In Zeiten von Terroranschlägen, Bombendrohungen und Politikern, die sich im Weitpinkeln messen, ist es wichtig, aufmerksam zu sein und den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren.

So ähnlich geht es Zara. Sie ist in einer Sackgasse gelandet und sich nicht mal bewusst, dass sie feststeckt, bis sich die Dinge für sie verschlechtern. Sie begreift erst dann, was ihrem Leben fehlt, als sie alles verloren hat. Das ist der Moment, in dem sie nichts mehr festhalten muss, weil es nichts gibt, das sie festhalten kann.
Im wahren Leben sind die Umstände selten so eindeutig oder krass. Das ist ja das Gute am Schreiben ,-) Ich kann extreme Situationen schaffen und auf Umstände aufmerksam machen, die jeder von uns kennt.

Es geht nicht darum, Leid zu bagatellisieren, sondern um die Frage, ob es hilfreich ist, aus jedem Furz einen Fackelzug zu veranstalten.
Was ist mir wichtig und was nicht?
Wie aufmerksam bin ich?
Worauf liegt mein Fokus?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein enger Blickwinkel eng macht. Denn wenn ich mich auf die Angst konzentriere, wird mein Umfeld plötzlich beängstigend und klein. Oder wie Mark Twain schon wusste: Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus. Denn wenn aus Stärke plötzlich Härte wird, ist irgendwas falschgelaufen.

Zara gelingt es im Verlauf der Geschichte, sich ihre blinden Flecke anzusehen und der Vergangenheit zu stellen. Sie lernt, sich zu öffnen und dem Schmerz gegenüberzutreten, den sie viel zu lang mit sich herumgeschleppt hat. Mit unterdrückten Gefühlen ist es wie mit einem Ball, den man ständig unter Wasser hält. Früher oder später kommen sie an die Oberfläche, denn irgendwann muss man loslassen und das ist der Moment der Wahrheit.

In diesem Sinne wünsche ich euch eine gute Woche. Seid aufmerksam und gebt auf euch acht!
Eure Christine (aka Jane)